Die Rolle von Angehörigen: Eine unersetzliche Stütze
Angehörige sind eine zentrale Stütze im Leben von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ihre Unterstützung ist vielfältig und umfasst verschiedene Bereiche.
Sie erledigen Haushaltsaufgaben wie Einkaufen, Kochen, Reinigung und Wäsche. Sie leisten praktische Unterstützung im Alltag, indem sie körperliche Pflege übernehmen, Medikamente geben, bei der Nahrungsaufnahme und Körperhygiene helfen.
Zudem organisieren sie Termine, erledigen Behördenwege und kümmern sich um finanzielle Angelegenheiten. Angehörige begleiten die Betroffenen zu Arztbesuchen, Therapien und sozialen Aktivitäten.
Emotionale Unterstützung: Zuhören und Halt geben
Emotionale Unterstützung ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Angehörigenarbeit. Angehörige hören zu, ohne zu bewerten, und versuchen, die Lage des Betroffenen zu verstehen und mitzufühlen. Sie motivieren und unterstützen bei der Bewältigung der Erkrankung und geben in Krisensituationen Halt und Sicherheit.
Die soziale Integration der Betroffenen wird durch die Pflege von Kontakten und die Integration in das soziale Umfeld gefördert. Gemeinsame Freizeitaktivitäten bringen Abwechslung in den Alltag und verhindern, dass sich der Betroffene isoliert.

Herausforderungen für Angehörige: Oft unterschätzt
Die Rolle der Angehörigen ist mit erheblichen Belastungen verbunden, die oft unterschätzt werden:
- Psychische Belastungen: Angst und Sorge um die Zukunft und die Sicherheit des Betroffenen, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, Scham vor der Reaktion des sozialen Umfelds und Trauer um den Verlust des früheren Lebens.
- Körperliche Belastungen: chronische Erschöpfung, Schlafstörungen und verminderte Leistungsfähigkeit, stressbedingte Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme und Rückenschmerzen.
- Soziale Belastungen: Isolation und Rückzug aus dem sozialen Umfeld, Konflikte in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz.
- Finanzielle Belastungen: zusätzliche Kosten für Therapien, Medikamente und Hilfsmittel, Einkommensverlust durch Reduzierung der eigenen Arbeitszeit oder Berufstätigkeitseinstellung.
Angehörige in Zahlen: Eine unterschätzte Gruppe
Die Angehörigen-Organisation «stand-by-you» hat Zahlen zu Angehörigen und Vertrauten von Menschen mit einer psychischen Krankheit veröffentlicht:
- 90% der erwachsenen Bevölkerung kennen mindestens eine Person aus dem persönlichen Umfeld, die von einer psychischen Krankheit betroffen ist.
- Etwa 59% der erwachsenen Bevölkerung haben in ihrem Leben schon einmal als Angehörige*r oder nahe Bezugsperson eine psychisch erkrankte Person unterstützt.
- Aktuell befinden sich in der Schweiz rund 2 Millionen Menschen in der Rolle als Angehörige oder nahe Bezugsperson.
Christian Pfister, Präsident von «stand-by-you» und selbst Angehöriger, äußerte sich in einem Interview mit dem «Beobachter» folgendermaßen: «Wir leisten diese Hilfe im Stillen und stopfen, so gut es geht, die vielen Löcher im Gesundheitssystem, damit unsere Lieben weniger leiden müssen. Viele von uns stoßen dabei aber immer wieder an ihre Grenzen. Sie sind nur schon froh, wenn sie zwischendurch mal etwas Luft bekommen. Bis heute werden wir weitgehend uns selbst überlassen, obwohl man aus der Forschung weiß, dass Angehörige überdurchschnittlich gefährdet sind zu erkranken.»
Psychische Erkrankungen offen ansprechen
Uns scheint wichtig, dass Angehörige damit nicht allein sind, sondern stärker als bisher in die Hilfssysteme eingebunden sind. Sandra Schmid-Fries, Co-Leiterin des Sonnenhügels, kennt die Situation als Angehörige aus eigener Erfahrung. In unserem Rundbrief 2024 berichtet sie folgendermassen:
«Der Feierabend bei meiner externen Arbeit, der ich neben dem Sonnenhügel nachgehe, rückte näher. Ich saß mit einer Arbeitskollegin im Büro und wir erledigten die letzten Schreibarbeiten. Anschließend blieb noch ein Moment für einen persönlichen Austausch. Die Kollegin erzählte mir, dass bei ihrem Schwiegervater der Krebs wieder ausgebrochen und somit das familiäre System von neuem herausgefordert sei, sich mit dieser Tatsache zu arrangieren. Als sie fertig erzählt hatte, fragte sie, wie es denn mir und meiner Familie ginge.
Depression verschweigen
Was ich ihr antwortete, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch genau, was ich ihr nicht antwortete, nämlich dass bei meinem Bruder die Depression wieder stark zugenommen hat. Darüber schwieg ich. Auf dem Heimweg beschäftigte mich meine Antwort. Innerlich hörte ich mich, wie ich auf Führungen durch den Sonnenhügel über die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten sprach, und nun stellte ich fest, wie ich als Schwester selber die psychische Krankheit meines Bruders verschwieg. Hätte er Krebs, hätte ich das sicherlich gesagt. Aber seine Depression erwähnte ich nicht.
Ein paar Tage später traf ich im Dorf beim Einkaufen auf eine Bekannte, die mich dasselbe fragte. Nach der obigen Erfahrung hatte ich mir vorgenommen, die psychische Krankheit meines Bruders nicht mehr zu verschweigen. So antwortete ich, dass es mir und meiner eigenen Familie gut gehe, dass mich jedoch die Depression meines Bruders beschäftige und viel Kraft koste.
Sich gegenseitig verstehen
Sie erzählte darauf von ihrem Bruder, welcher schon mehrere Jahre psychisch erkrankt war, und wie es ihr als Schwester damit ging. So sprachen wir beide als Angehörige eine Weile miteinander und fühlten uns gegenseitig verstanden. Emotionale Unterstützung ist in solchen Momenten besonders wertvoll.»
Auswirkungen auf die Angehörigen
Die Belastungen haben weitreichende Auswirkungen auf das Leben der Angehörigen. Partnerschaften können darunter leiden, da weniger Zeit für gemeinsame Aktivitäten bleibt und es zu Konflikten um die Pflege und Betreuung des Betroffenen kommen kann.
Kinder sind ebenfalls betroffen, da sie Angst, Sorge und Schuldgefühle wegen der Erkrankung eines Elternteils erleben und sich an neue Rollen und Aufgaben innerhalb der Familie anpassen müssen.
Die eigene Gesundheit der Angehörigen ist gefährdet, da sie ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sowie für körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Immunschwäche haben.

Angehörige im Sonnenhügel willkommen
Es erstaunt daher nicht, dass sich im Sonnenhügel immer wieder auch Angehörige eine Auszeit gönnen, um durchzuatmen. Immer öfter weilen Ehemänner, Brüder, Schwestern oder Mütter bei uns.
Auch wir selber haben Orte, wo wir auftanken können, sei es für uns alleine oder in Gesprächen mit Freund*innen oder Begleitpersonen.
Aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen möchten wir ermutigen, bei Angehörigen durchaus nachzufragen, um dann entweder zuzuhören oder zu respektieren, wenn die Person nicht erzählen mag.
Unterstützung für Angehörige: Wie der Sonnenhügel hilft
Der Sonnenhügel bietet Angehörigen konkrete Unterstützung, um ihnen zu helfen, ihr Leben wieder zu leben. Diese Unterstützung umfasst:
- Auszeit und Entspannung in einem geschützten Rahmen: Angehörige können sich im Sonnenhügel eine Auszeit gönnen und in einem sicheren Umfeld entspannen.
- Austausch und Gemeinschaft mit anderen Betroffenen: Der Sonnenhügel fördert den Austausch und die Gemeinschaft unter Angehörigen, sodass sie sich gegenseitig unterstützen und verstehen können.
- Professionelle Unterstützung durch individuelle Begleitgespräche: Angehörige erhalten professionelle Unterstützung durch individuelle Begleitgespräche, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse eingehen.
Angehörige leisten täglich wertvolle Arbeit, um das Leben ihrer Liebsten zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihr Leben wieder zu leben. Diese Angehörigenarbeit ist von unschätzbarem Wert und verdient Anerkennung und Unterstützung.
Möchtest du als Angehörige*r eine Auszeit nehmen oder Unterstützung erhalten?