Angehörige entlasten und sie in die Arbeit miteinbeziehen

3. April 2024

Foto von krakenimages auf Unsplash

Eine aktuelle Studie über Angehörige von Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, lässt aufhorchen:

  • 90% der erwachsenen Bevölkerung kennt mindestens eine Person aus dem persönlichen Umfeld, die von einer psychischen Krankheit betroffen ist.
  • Etwa 59% der erwachsenen Bevölkerung hat schon einmal als Angehörige:r oder als nahe Bezugsperson eine psychisch erkrankte Person unterstützt. Aktuell sind das in der Schweiz rund 2 Millionen Menschen!
  • Die Unterstützung von Angehörigen und Freunden entlastet das Gesundheitswesen massiv. Etwa 58% der von einer psychischen Erkrankung Betroffenen sagen, dass sie ohne private Unterstützung auf mehr fachliche Hilfe angewiesen wären..

Diese Zahlen hat die Angehörigenorganisation Stand-by-you in diesen Tagen veröffentlicht. (Die Studie kann hier eingesehen werden.)

Angehörige beim Schnuppergespräch dabei haben können: weniger Angst

Das bekräftigt unsere Haltung, wenn möglich und erwünscht auch die Angehörigen in den Genesungsprozess unserer Gäste miteinzubeziehen. Das beginnt manchmal schon beim Schnuppergspräch. Manche Gäste lassen sich dabei gerne vom Partner/von der Partnerin oder einer anderen nahestehenden Person begleiten. Das kann helfen, Ängste und Unsicherheiten zu überbrücken. Oder aber es entlastet, wenn noch ein Ohrenpaar hinhört und sich vielleicht Notizen macht. Dann braucht man keine Angst zu haben, eine wichtige Information zu verpassen.

Meist handhaben wir es während eines Schnuppergesprächs so, dass wir die Hausführung zusammen mit der Begleitperson machen. So sehen die Vertrauten, wo ihr:e Freund:in oder ihr:e Verwandte:r später vielleicht für einige Wochen leben wird. Im Anschluss an die Hausführung begeben wir uns mit der Interessentin/dem Interessenten ins Gesprächszimmer, um Fragen zu klären, erste Eindrücke auszutauschen und den weiteren Prozess zu besprechen. Dieses Gespräch findet in der Regel unter vier Augen statt. So haben vertrauliche Aspekte ihren geschützten Ort. Nicht selten kommt es aber vor, dass die Person, welche sich für einen Gästeaufenthalt auf dem Sonnenhügel interessiert, gegen Ende des Gesprächs wünscht, die Begleitperson hinzuzuziehen. Etwa dann, wenn es darum geht, praktische oder organisatorische Dinge zu regeln. Selbstverständlich ist dies dann auch möglich. Denn schon beim Schnuppergespräch gilt, was wir auch während des Aufenthaltes hochhalten: Der Gast, die Gästin bestimmt den Prozess.

Das gilt im Übrigen auch dann, wenn jemand bewusst keinen Kontakt zu den Angehörigen pflegen kann oder will. Das kann gelegentlich vorkommen in Fällen von Konflikten, die nicht selten die Folge davon sind, wenn Angehörige über sehr lange Zeit Unterstützung bieten (müssen). Dazu gleich noch mehr. Solche Konstellationen können auf Dauer sehr belastend sein, vor allem wenn wir die Not der Angehörigen ebenfalls mitbekommen. Da müssen wir jeweils sehr sorgfältig abwägen zwischen der uneingeschränkten Autonomie der Gäste, unserer Schweigepflicht und der spürbaren Not der Angehörigen. Mit viel Geduld und sorgfältigen Schritten gelingt es uns oftmals zu vermitteln, ohne eines der eben genannten Grundprinzipien zu verletzen.

Angehörige ernst nehmen

Oft ist es für Angehörige bereits eine grosse Entlastung, wenn sie ernst genommen und in den Prozess eingebunden werden. Das beginnt schon beim ersten Telefon. Wir erhalten viele Anfragen von Bekannten oder Verwandten, welche erst einmal unverbindlich abtasten, ob ein Aufenthalt auf dem Sonnenhügel unter den gegebenen Umständen möglich ist und wir aktuell freie Plätze haben. Es ist uns wichtig, dafür genügend Zeit zu haben. Denn hinter den oft sachlichen Fragen und Anliegen stecken viele Emotionen und Belastungen. Diese müssen wir ernst nehmen. Das kann bereits sehr entlastend sein. Die Angehörigen fühlen sich wahrgenommen, selbst wenn wir ihnen nicht unmittelbar eine Last abnehmen können.

Es gibt aber noch einen zweiten wichtigen Ansatz, wie wir Angehörige entlasten: Wir bieten ihnen einen Ort, wo sie eine Auszeit machen können. Sich um Angehörige mit einer psychischen Krankheit zu kümmern, kann mitunter sehr zermürbend sein. Dazu zwei weitere Punkte aus der bereits erwähnten Studie:

  • Langfristige Unterstützung und Konfliktpotenzial: 68 Prozent der Unterstützenden haben diese Rolle mindestens ein Jahr lang ausgeübt, und ein Drittel sogar mehr als fünf Jahre. Es zeigt sich jedoch, dass mit zunehmender Dauer der Unterstützung das Konfliktpotenzial zwischen Unterstützenden und Betroffenen steigt.
  • Psychische Belastung der Unterstützenden: Eine herausfordernde Realität ist, dass 73 Prozent der Personen, die ein Mitglied der Kernfamilie unterstützen oder unterstützt haben, angeben, dass diese Unterstützung eine psychische Belastung für sie darstellt oder dargestellt hat.

Manchmal brauchen daher auch Angehörige einfach mal eine Pause und etwas Abstand. Dies umso mehr, wenn es sich bei der psychisch erkrankten Person um jemand im selben Haushalt handelt. Denn in diesem Fall ist im Alltag meist keine räumliche Distanz möglich.

Wir wissen, was es heissen kann, Angehörige:r zu sein

Der Sonnenhügel kann ein solcher Ort sein, wo Angehörige auftanken können. Dabei bieten wir gegenüber gewöhnlichen Ferien – die natürlich auch ganz schön sein können – ein paar spezifische Vorteile. So sind wir uns selber das Zusammenleben mit psychisch kranken Menschen gewohnt. Als Mitglieder der Kerngemeinschaft leben wir ja dauerhaft auf dem Sonnenhügel, nicht nur während gewisser Arbeitszeiten. Darum wissen wir aus eigener Erfahrung, wie belastend das Zusammenleben sein kann. Das schafft gegenseitiges Verständnis und erspart viele Worte. Viele Gäste melden uns zurück, dass es für sie ein grosser Gewinn war, dass psychische Gesundheit bei uns als Thema im Alltag eingebettet ist und man darum nicht erst um Verständnis für Schwierigkeiten und Widersprüche werben muss.

Denn letztlich gilt ein ganz einfacher Grundsatz: Wenn es deinem Nächsten schlecht geht, musst du besonders gut zu dir selber schauen. Wir wissen: das ist paradox. Aber wahr. Und oftmals sehr schwer. Gerade neulich haben wir einen Mann begleitet, der mit einer Frau verheiratet ist, welche psychisch erkrankt ist. Er erzählte im Begleitgespräch, wie jeder neue Schub der Krankheit bei ihm sofort eine Art Helfersyndrom weckt. Das ist eigentlich ganz natürlich. Seine Frau ist in solchen Situationen unmittelbar auf Hilfe angewiesen. Aber je länger desto mehr spürt er, dass er die Kraft nicht mehr hat, um adäquat zu helfen.

Je öfter er über seine eigenen Grenzen hinausgeht, desto stärker gefährdet er die Beziehung, an der er aber eigentlich sehr hängt. Eine mehrwöchige Auszeit auf dem Sonnenhügel hat ihn gestärkt und ihn ermutigt, gerade dann gut zu sich selbst zu schauen, wenn seine Kräfte eigentlich auch an einem anderen Ort gebraucht werden. Er hat erkannt, dass es kein Entweder-Oder ist, sondern ein Sowohl-Als auch. Er kann gut zu sich selber schauen und für seine Frau da sein. Manchmal braucht es dazu aber ein Nein. Ein Nein allerdings, das Türen öffnet.

Sicherlich hilfreich ist für ihn, dass er und seine Frau auf ein gut austariertes Netzwerk von Fachpersonen zurückgreifen können, welches im Notfall präsent ist und ebenfalls Entlastung bieten kann. In Zeiten chronischer Überlastung des Gesundheitswesen insbesondere im psychischen Bereich ist das keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr ist es wichtig, dass Angehörige öffentliche Anerkennung erhalten (diese ermutigt) und Orte kennen, wo sie sich selber entlasten können (diese stärken).

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